Das habe ich mir nicht gewünscht.

 

 

Zur Bescherung am Heilig Abend hatte ich mir einen Ball gewünscht. Kein Kind an unserer Strasse hatte einen. Fußball wurde nach dem Krieg mit einer alten verbeulten Blechdose gespielt.

Ein Ball, das war das Einzige auf meinem Wunschzettel.

 

Es war soweit. Nach einem gemeinsamen Singen vor dem Weihnachtsbaum wurde das Bettlaken, welches die Geschenke verbarg, gelüftet.

Der Ball, wo war der Ball. Es war kein Ball zu finden.

Die Enttäuschung war groß. Anderes hatte kein Interesse.

 

Wir, meine Mutter und ich, wohnten in einer Notgemeinschaft mit einem Ehepaar aus Bremen zusammen. Man kannte sich aus dem Bunker und ich sagte Onkel und Tante zu ihnen.

Onkel Wilhelm reagierte als erster auf meine Enttäuschung, sprach davon, dass selbst das Christkind in diesen schlechten Zeiten keinen Ball hätte besorgen können. Dafür aber etwas ganz besonderes, ein Lagerhaus für mich gebracht hätte. „Das habe ich mir nicht gewünscht.“ Onkel Wilhelm setzte sich auf den Fußboden „Sieh doch mal her“ und rückte dieses Lagerhaus zwischen uns.

 

Zu Anfang hatte ich nur unwillig zugehört, aber seine Rede von fernen Ländern, Schiffen die über das weite Meer fahren um Kolonialwaren zu diesem Lagerhaus zu bringen, weckte meine Aufmerksamkeit immer mehr.

 

Zum Lagerhaus gehörten noch prallgefüllte Säckchen auf denen Zucker stand, auch Kaffee, Reis. Es waren Tee- und Tabakballen dabei, Fässer und Kisten. Dieses alles holte Onkel Wilhelm aus den fünf Etagen des Lagerhauses heraus und verteilte es im Wohnzimmer.

 

Wir fingen an zu spielen.

„Hol’ doch mal den grünen Tee aus China und den schwarzen von Ceylon, kannst auf der Rückfahrt den Kaffee von Kenia mitbringen“. Mit einem Schiff, das schnell aus Papier gefaltet war, machte ich mich in fremde Welten auf. Ceylon im Indischen Ozean und China waren weit, sie lagen in Asien. Kenia in Afrika, wo die Löwen, Zebras und Giraffen zu hause sind. Der Onkel wusste mit Beschreibungen der Länder und deren Bewohnern, aber auch mit Sturm und Seeräubergeschichten das Spielen so richtig spannend zu machen.

Glücklich, nach überstandenen Abenteuern kam ich mit der Ladung im

Heimathafen an.

  

Das Schiff wurde entladen.

Am Lagerhaus befand sich, mittels einer kleinen Garnrolle, eine Seilwinde.

Säcke und Ballen wurden festgemacht, hochgezogen und verschwanden in den Lagerräumen. Und dann ging das Spiel weiter. Kaffee und Kakao aus Brasilien, Zucker und Tabak von der Insel Kuba, Heringe im Fass aus Norwegen.

Onkel Wilhelm fesselte meine Gedanken. Ich war nun ganz in der Spielerei aufgegangen und lernte nebenbei die Welt kennen.

 

Noch nie durfte ich solange aufbleiben. Die Müdigkeit lies mich sofort einschlafen und morgens dann, wollte ich gleich wieder Kapitän, Kaufmann und Kranführer sein.

Der Ball, ja der Ball, an den hab’ ich dann auch mal gedacht. Doch bevor ich traurig wurde, über diesen nicht erfüllten Wunsch, war ich schon wieder auf große Fahrt, Reis zu holen aus Malaysia.

 

Heute, viele, viele Jahre später, denke ich daran welche Mühe sich meine Mutter, Onkel und Tante gemacht hatten. Sie konnten keinen Ball organisieren. Ja, organisieren nannte man das, auch kungeln, man musste etwas zu tauschen haben, zu kaufen gab es nichts. Dafür dann das Lagerhaus, eine Idee des Bremer Kaufmannssohn, meines Onkel Wilhelm. Sobald ich zu Bett gebracht war bastelten sie Abend für Abend am Küchentisch daran, bis spät in die Nacht hinein. Alte Kistenbretter wurden gesäubert, zurechtgeschnitten, verleimt, Tapetenreste auf der Rückseite zu einer Backsteinfassade bemalt und aufgeklebt,

hunderte Pfannen auf dem steilen Dach in dicke rote Ölfarbe geprägt. Fässer bekamen mit glühender Stricknadel ihre Reifen, die kleinen Säcke mussten genäht und gefüllt werden. Die Lieben, die hatten gewiss auch Spaß dabei.

Das fertige Ganze, ein Prachtstück 30 x 30 und 50 cm hoch.

 

Das Lagerhaus, voll mit Phantasie und dazu Lernstück, durfte ich ein paar Jahre behalten. Es wurde dann an einen kleinen Jungen weiterverschenkt.

Ich hoffe, es hat ihn ebenso begeistert und ihm Freude bereitet wie mir.

 

Übrigens, den Ball bekam ein anderer Junge in unserer Straße geschenkt.

 

 

Phil Sternpark

 

 

 

 

 

08.12.2010